Krupp-Gussstahl, die Erfolgsgeschichte eines deutschen Unternehmens bis 1880, Teil 1

Der neue Bestand des Deutschen Reichsanzeigers ermöglicht eine tiefgreifende Erforschung der deutschen Wirtschaftsgeschichte mit ZEDHIA. Eine klassische Erfolgsgeschichte, die zu einem erheblichen Teil in den Berichten des Deutschen Reichsanzeiger widergespiegelt wird, ist die Entwicklung der Stahlindustrie, hier am Beispiel des Unternehmens Krupp.
Krupp steht für den Erfolg der deutschen Schwerindustrie im gerade erst gebildeten Deutschen Kaiserreich wie kaum ein zweites Unternehmen. Nicht ohne Grund, wie die Entwicklung und Zahlen des Unternehmens, welche aus dem Deutschen Reichsanzeiger und weiteren Publikationen die auf ZEDHIA verfügbar sind, herausgelesen werden können eindrucksvoll beweisen.

So lesen wir in der Allgemeine Preußische Staats-Zeitung vom 28.12.1822, Nr. 156 (S. 1550), in einem leider nicht vollständig lesbaren aber trotzdem informativen Textteil, von der laut

Gutachten eines Sachkenners, ist der, in der Fabrik Friedrich Krupp zu Essen gefertigte Gußstahl [...] dem besten Englischen Stahl [...] in mehr als einer Rücksicht vorzuziehen. [...] Zugleich empfiehlt sich auch derselbe durch Wohlfeilheit..

Ein ganz ähnlicher Kommentar kommt in der Ausgabe Allgemeine Preußische Staats-Zeitung vom 27.10.1839, Nr. 298, S. 1228 vor, weiterhin steht der Vergleich mit den bisher führenden Qualitätsstandards der englischen Stahlproduktion im Vordergrund:

Essen, 21. Okt. Zu den interessantesten gewerblichen Etablissements der Provinz gehört unstreitig die Gußstahl-Fabrik des Herrn Krupp in unserer Nähe. Das Fabrikat derselben kann völlig mit dem Englischen wetteifern, und wohl verdient es bekannter zu werden, daß dieses von dem Gewerbe-Verein in Berlin, nach den Resultaten von Versuchen, welche derselbe bekannt gemacht hat, anerkannt worden ist.

Sehr deutlich wird mit diesen zwei Zitaten, dass zu Beginn der Expansion von Krupp der ständige Vergleich mit den englischen Stahlprodukten im Vordergrund stand. Krupp's Erzeugnisse wurden an der englischen Qualität gemessen.

Krupp und sein Unternehmen zeichneten sich auch durch ihren Erfindungsreichtum und innovative Produktion aus, was sich in regelmäßigen Patentanmeldungen niederschlug: Amtsblatt zur Wiener Zeitung 26.02.1844, Nr. 57, S. 296:

18. Dem Friedrich Krupp, Fabriksbesitzer zu Eßen in Rhein-Preußen, der Bevollmächtigte ist der Agent Doctor Franz Wertsein in Wien, Stadt Nr. 469, für fünf Jahre, auf die «Erfindung mittelst Maschinen, Löffel und Gabeln von jeder beliebigen Größe aus Gold, Silber, Packfong und anderen dehnbaren , der Gesundheit unschädlichen Metallen oder metallinischen Compositionen durch Anwendung von Walzen aufschneiden, und mit jeder beliebigen Verzierung versehen, auszupressen, wodurch diese Erzeugnisse dauerhafter als die bisher bekannten werden, und sich durch Wohlfeilheit und Eleganz auszeichnen.«

Außer Reiß, Bussolin, Kirchberger , Hafen, Kauffmann und Lang, haben alle Uebrigen die Geheimhaltung der Privilegienbeschreibung ausdrücklich angesucht.

Das Privileg wurde an einen Wiener Großhändler abgegeben und um weitere 5 Jahre verlängert, Amtsblatt zur Wiener Zeitung 21.07.1849, Nr. 172, S. 133:

Friedrich Krupp, cedirt an Alexander Schöller, k. k. priv. Großhändler in Wien vom 21. December 1843 auf die »Erfindung mittelst Maschinen Löffeln und Gabeln von je der beliebigen Größe aus Gold, Silber, Packfong und an deren dehnbaren der Gesundheit unschädlichen Metallen oder metallinischer Compositionen durch Anwendung von Walzen auszuschneiden, und mit jeder beliebigen Verzierung versehen, auszupressen«, für die weitere Dauer von 5 Jahren,- d. i. für das 6te, 7te, 8te, 9te und 10te Jahr verlängert.

Im Rahmen der Gewerbe-Ausstellung der Deutschen Bundes- und Zollvereins-Staaten wird in der Ausgabe Allgemeine Preußische Zeitung vom 08.10.1844, Nr. 280, S. 1487 berichtet:

3) Gußstahl. Die vorzüglichsten Produkte von Gußstahl sind von Fr. Krupp in Essen (Nr. 1095) eingeliefert. Es zeichnen sich darunter Hartwalzen und Lahnwalzen, so wie ein Geläute von Gußstahl, aus. Wenngleich die Anwendung des Stahles zum Geläute nicht neu ist, indem seit mehreren Jahren zu Serno unweit Koswig (Anhalt Bernburg) an der Elbe sich ein solches befindet, so ist doch die Form des Kruppschen Geläutes anders als das zu Serno, wo der Stahl im Winkel gebogen, indessen er hier in Hufeisensorm ist.

Das Geläute war im praktischen Einsatz: Allgemeine Preußische Zeitung vom 18.12.1844, Nr. 351, S. 1803.

Am 21. Oktober wurde die Gewerbe - Ausstellung geschlossen. Das von Herrn Friedrich Krupp in Essen unter Nr. 1095 ausgestellte treffliche Stabgeläute von Gußstahl, welches zur täglichen Anzeige für den Anfang und Schluß der Besuchzeit benutzt war, wurde zum letztenmale gerührt, und wie seine Klänge in melodischen Schwingungen verhallten, so möge auch dieses große Vereinigungsfest in den Gemüthern aller Vaterlandsfreunde einen wohlthuenden harmonischen Eindruck zurücklassen, zum unerschütterlichen Festhalten an dem großen Ganzen ermahnen und zum unermüdlichen Vorwärtsschreiten auch in diesem wichtigen Felde anregen.

Bericht über Achsbruch nach langer Nutzungsdauer. Der Bruch wurde eher als normal angesehen und die Umstände berücksichtigt, Königlich Preußischer Staats-Anzeiger vom 25.02.1859, Nr. 49, S. 348:

Cöln, 21. Februar. Auf der Duisburger Zweigbahn (Cöln-Mindener Eisenbahn) brach am 11. Januar d. I. unter einem 4rädrigen Kohlenwagen in Folge einer Entgleisung eine Achse hinter der Nabe. Die Achse war eine Gußstahlachse aus der Fabrik von Fr. Krupp in Essen und seit dem Januar 1856 in Benutzung. Der Bruch war vollständig, auch die Bruchfläche durchgängig frisch und gesund und zeigt die Textur des Gußstahls ein dichtes, sehr feinkörniges, gleichmäßiges Gefüge; die Flüche selbst zeigt mehrere lange Wülsten, welche die Zähigkeit des Materials bezeugt. — Die Achse hatte überhaupt 3182 Meilen und seit der letzten Revision 587 Meilen durchlaufen. Die Normalbelastung des Wagens ist 200 Centner und das Eigengewicht desselben 11,200 Zollpfund. Der Wagen war beladen mit 200 Centner Kohlen.

Eine Eisenbahnverbindung zum Krupp'schen Fabriksgelände wurde genehmigt. Königlich Preußischer Staats-Anzeiger vom 05.05.1861, Nr. 109, S. 867:

Allerhöchster Erlaß vom 22. April 1861 — betreffend die Genehmigung zur Anlage einer für
den Lokomotivbetrieb einzurichtenden Eisenbahn von der Fr. Kruppschen Gußstahl-Fabrik zu Essen
bis zu der von der Zeche „Victoria-Matthias" nach dem Cöln-Mindener Bahnhöfe Berge-Borbeck führenden Eisenbahn.
Ich will nach Ihrem Anträge vom 12. April d. J. zu dervon dem Besitzer der Fr. Kruppschen Gußftahl-Fabrik zu Essen, im Kreise Duisburg, beabsichtigten Anlage einer für den Lokomotivbetrieb einzurichtenden Eisenbahn von der gedachten Fabrik bis zu der von der Zeche „Victoria-Matthias" nach dem Cöln-Mindener
Bahnhöfe Berge - Borbeck führenden Eisenbahn hierdurch Meine Genehmigung unter der Bedingung ertheilen, daß andern Unternehmern sowohl der Anschluß an die neue Bahn mittelst Zweigbahnen, als auch die Benutzung der ersteren gegen zu vereinbarende, eventuell von Ihnen festzusetzende Fracht- oder Bahngeldsätze Vorbehalten bleibt. Zugleich bestimme Ich bei Rückgabe des Situationsplans, daß die in dem Gesetze über die Eisenbahn - Unternehmungen vom 3. November 1838 ergangenen Vorschriften über die Expropriation auf das Unternehmen Anwendung finden sollen.
Dieser Erlaß ist durch die Gesetz-Sammlung bekannt zu machen.
Berlin, den 22. April 1861.
Wilhelm.
von der Heydt.
An
den Minister für Handel, Gewerbe und
öffentliche Arbeiten

Experimente mit Stahlgeschossen von Krupp, Bericht im Königlich Preußischer Staats-Anzeiger vom 24.07.1864, Nr. 172, S. 2018:

Großbritannien und Irland. London, 21. Juli.
Am gestrigen Tage wurden, auf Anregung der Admiralität, interessante Experimente mit Stahlgeschossen von Krupp, John Brown und der Firma Sanderson Brothers u. Co. begonnen, um die relative Tüchtigkeit dieser Geschosse festzustellen. Es wurde mit ihnen gegen 5zöllige Eisenplatten geschossen, und die Kruppschen Kugeln waren die einzigen, welche dieselben gestern vollständig durchbohrten.
Die »Times- bemerkt dazu in ihrem Berichte: Entscheidend seien diese ersten Versuche durchaus nicht, denn nur eine einzige der von Krupp gelieferten Kugeln sei durch die Platte gedrungen, und da diese selbige Platte vorerst nicht weiter als Zielscheibe benutzt wurde, ließe sich noch nicht behaupten, daß die Kruppschen Geschosse die besten seien. Zunächst den Kruppschen kamen die von Brown, die übrigens bedeutend wohlfeiler sind. Sie kosten nämlich 30 Pfd. St. pr. Tonne, die Kruppschen dagegen 50 Pfd. St. Wie dem auch sei, es hat sich das Uebergewicht dieser Stahlgeschosse über Projektile von gewöhnlichem Eisen bis zur Evidenz herausgestellt, und es unterliegt keinem Zweifel, daß die englische Regierung diese bei ihrer Land - und Schiffsartillerie einführen wird.

Die gestrigen Experimente geschahen mit 110pfündigen Armstrong Geschützen bei 12pfündigen Pulverladungen. — In wenigen Tagen beginnen Schießversuche gegen Eisenplatten, welche dem Panzer der „La Gloire“ genau nachgebildet sind

Die Größe der Anlage und vorhandenen Mittel werden eindrucksvoll im Amtsblatt zur Wiener Zeitung 25.03.1865, Nr. 70, S. 279 beschrieben:

Die Krupp'sche Gußstahlfabrik. Den meisten unserer Leser dürfte bereits aus früheren Mittheilungen die Großartigkeit der Krupp'schen Gußstahlerzeugung in Essen im Allgemeinen bekannt sein. Es dürfte daher nicht ohne Interesse sein, wenn wir hier einige nähere Angaben über den Umfang und die Größe dieser Anlagen wiederholen. Die bereits vollendeten und noch im Baue befindlichen Anlagen
des berühmten Gußstahlfabricanten bedecken eine Grundfläche von 700 preußischen Morgen. Ohne Hinzurechnung der in den Krupp'schen Erz- und Kohlenminen verwendeten Bergleute beschäftigt Krupp gegen 8000 Arbeiter, für welche der Arbeitslohn alle 14 Tage, als Auszahlungsperiode, nicht weniger als 80.000 Thlr. beträgt. 75 Dampfmaschinen von der kleinsten bis zu einer Größe von 1000 Pferdekräften, liefern zusammen eine Kraft von 3 — 4000 Pferden und verdampfen binnen 24 Stunden bei einem Kohlenaufwande von 12.000 Centnern nicht weniger als 170.000 Kubikfuß Wasser. Von der Anzahl der vorhandenen Essen oder Schornsteine besitzt der größte eine Höhe von 240 Fuß. Die Schmiedearbeiten, auf welche in diesem Etablissement der größte Werth gelegt wird, werden durch 35 Dampfhämmer von 1 bis 1000 Centner Gewicht aus geführt. Dieser letztere Hammer jetzt der größte der Welt,
hat einen Hub von 10 Fuß und sein Fundament soll aus der enormen Masse von 30.000 Centnern Gußeisen bestehen. Man kann sich schwer einen Begriff von der Wirkung eines Schlages dieses Ungethüms von einem Hammer machen; in einer Entfernung von mehreren hundert Klaftern, in welcher sich das Kruppssche Wohnhaus befindet, machte der Schlag den Eindruck eines abgefeuerten Schusses aus
einer Kanone größten Kalibers in weiter Entfernung, und so wie sonst der Schall auf den Blitz, so folgt hier ungefähr eine Secunde später nach dem Schalle eine durch den Boden fortgepflanzte Erschütterung, welche alle Fenster des Hauses erdröhnen macht. Daß durch solche Schläge auch die größten
Gußstahlblöcke oft von mehreren hundert Centnern durch und durch bis in das Innerste verdichtet und bearbeitet werden können, wird man leichtbegreiflichfinden, und es liegt wohl das Geheimniß für die Prosperität und staunenswerthe Leistungsfähigkeit dieser Fabrik größtentheits mit in den ungeheuren Mitteln, welche Derselben zu Gebote stehen; so wird z. B. das Anlagecapital dieses Dampfhammers allein aus 600.000 Thaler angeschlagen.

Krupp galt während des Deutschen Krieges als kriegswichtig, dazu der Königlich Preußischer Staats-Anzeiger vom 01.07.1866, Nr. 154, S. 2205:

Essen, 25. Juni. Die hiesigen Geschäfte, schreibt man der »Augsb.
Allg. Ztg.«, leider zwar im Allgemeinen eben so wie anderwärts, es ist
aber für den hiesigen Platz als ein besonderer Vortheil unter den obwaltenden Umständen zu betrachten, daß die Krupp‘sche Gußftahlfabrik fortwährend
mit unverminderter Arbeitskraft thätig ist, ja.- sogar durch die Mobilmachung
fast gar keine Einbuße an Beamten, Technikern und Arbeitern erfahren hat,
da die Dienstpflichtigen mit Rücksicht auf die Kanonen-Fabrication größtentheils als unabkömmlich zurückgelassen werden. Auch beim Bergbau wenigstens in unserer nächsten Umgebung, haben bisher außer den zum Heere unberufenen Arbeitern noch keine bedeutenden Ablegungen stattgefunden.

Krupp dominierte als Arbeitgeber die Stadt Essen, siehe Deutscher Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischer Staats-Anzeiger vom 16.12.1871, Nr. 197, S. 4018

Essen, 11. Dezember. Das vorläufig festgestellte Resultat der
Volkszählung hat für die Stadt Essen eine Einwohnerzahl von 51,246
ergeben. Die Zählung im Jahre 1861 hatte 20,751 und die von
1867 40,695 Einwohner ergeben, die Zunahme in den letzten vier Jahren
beträgt also nahezu 11,000. Auf den Kruppschen Gußstahlwerken
sind zur Zeit etwa 10,000 Arbeiter beschäftigt.

Ein ausführlicher Überblick mit historischem Rückblick und aktuellen Daten im Deutscher Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischer Staats-Anzeiger vom 11.11.1873, Nr. 266, S. 4:

Die Kruppsche Gußstahlfabrik.*)
Die Gußstahlfabrik bei Essen besteht feit dem Jahre 1810. Sie wurde von dem zeitigen Inhaber Alfred Krupp seit dem Jahre 1826 betrieben und im Jahre 1848 für alleinige Rechnung übernommen.
Das Etablissement hat sich allmählich entwickelt. Zur Zeit (Januar 1873) bedeckt dasselbe einen zusammenhängenden Flächenraum von über 400 Hektaren (circa 1600 preußische Morgen), von denen
etwa 75 Hektare überdacht sind, und beschäftigt über 12,000 Arbeiter, abgesehen von reichlich 2000, welche durch Bauunternehmer gestellt werden.

[vgl. auch untenstehende PDF für den gesamten Text mit einer sehr ausführlichen Berichterstattung]

Hyothekarische Anleihe von Krupp, Kundmachung im Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger vom 02.05.1874, Nr. 103, S. 16:

Fried. Krupp, Gussstahlfabrik zu Essen. 5% Hypothekarische Anleihe von 6,000,000 Thlr. in Oblig. zu 200 Thlr. Zum Course von 96% am 4. und 5. d. M. in Berlin bei der General-Direktion der Seehandlungs-Societät, der Disconto-Gesellschaft, der Bank für Handel und Industrie, der Berliner Handelsgesellschaft
und 8. Bleichröder; s. Ins. in Nr. 102.

Krupp_Zinscoupons_Deutscher Reichs-Anzeiger_17.09.1874, Nr. 218_S6

Obiges Inserat aus dem Deutscher Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischer Staats-Anzeiger vom 17.09.1874, Nr. 218, S. 6.

Ein Aufruf und eine Drohung an die Arbeiter durch Friedrich Krupp wird in der Ausgabe vom 04.01.1875, Nr. 2, S. 4 veröffentlicht, Hintergrund sind u.a. von der Firmenleitung geplante Lohnsenkungen und Entlassungen:

— Der Geh. Kommerzien-Rath Krupp in Essen hat an seine Arbeiter folgendes Cirkular gerichtet:
»Vergangene Jahre, welche allen Fabriken und Bergwerken so außergewöhnliche Arbeit brachten, haben den Arbeitern außergewöhnliche Löhne zugeführt. Diese scheinbar glückliche Zeit hat in das Gegentheil sich umgewandelt: Arbeit ist jetzt wenig geboten und Entlassungen werden auf allen Werken vorgenommen. Auch die Gußstahlfabrik war zum ersten Male in dem Falle, eine größere Anzahl von Leuten entlassen zu müssen. Da die Löhne nicht im Verhältniß stehen zu den erreichbaren Verkaufspreisen, so wird für alle Zweige der Fabrik eine Ermäßigung der Löhne nothwendig eintreten müssen, so lange, bis ein richtiges Verhältniß zwischen Selbstkosten- und Verkaufspreisen wieder hergestellt sein wird. Diese Ankündigung geschieht hiermit im Voraus, damit Niemand plötzlich überrascht werde. Ueber das Maß und die Dauer dieser Lohnermäßigung läßt sich heute nichts sagen; sie hängt von den Zeitverhältnissen ab. Bei Durchführung dieser Ermäßigung hofft die Firma indessen es zu ermöglichen, daß alle ihre Werke in voller Kraft fortarbeiten werden. Es wird ihr dabei zur größten Befriedigung gereichen, wenn alle treuen Arbeiter — trotz der ungünstigen Zeitverhältnisse ruhig und ohne Sorge um ihre Zukunft — fortdauernd beschäftigt bleiben können, und sie wird nach wie vor bestrebt sein, denselben die Vortheile der Beschaffung aller Lebensbedürfnisse in möglichst erweitertem Maße zuzuführen. Ich bebaute diese Nothwendigkeit der Lohnherabsetzung, verbinde damit aber die bestimmte Erklärung, daß jeder Ausdruck von Unzuftiedenheit als Kündigung anzusehen ist.

Essen, Gußstahlfabrik, den 28. Dezember 1874. Fried. Krupp.'

Zwei Meldungen in ein und derselben Ausgaben ergänzen den Blick auf die Situation in Krupp's Firma, einmal die Bestellung der Kanonen, direkt eine Kundmachung zu den weiteren Einschränkungen für die Arbeiterschaft:

Was die Artillerie betrifft, wurden bereits in Folge früherer Verfügungen 80 Batterien (640 Kanonen) mit dem leichteren Geschütz (7,5 Cm.) ausgerüstet, und in diesem Jahre wurden die Mittel bewilligt, 400 Kruppsche Stahlgeschütze für den Felddienst (8,7 Cm.) zu beschaffen, die wahrscheinlich noch innerhalb des Jahres 1876 abgeliefert werden, so daß das aktive Heer über 1040 Geschütze zu verfügen haben wird. Zugleich mit der Einführung des neuen wird das ältere Material (9 und 12 Cm.) der Landwehr überwiesen, welche somit in den Besitz von 75 Batterien kommt.

Aus: Deutscher Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischer Staats-Anzeiger vom 06.01.1876, Nr. 4, S. 2
Zeitgleich werden weitere Beschlüsse zu Lasten der Arbeiter auf der folgenden Seite 3 der gleichen Ausgabe verkündet:

Aus Essen wird der ,Elbs. Ztg.' unterm 4. Januar geschrieben:
In der Kruppschen Fabrik ist heute folgender Anschlag zu lesen:
»Die ungünstigen Zeitverhältnisse, welche eben so nothwendig für den Arbeitgeber große Verluste, wie für den Arbeiter Schmälerung der Einnahme herbeiführen, veranlassen die Firma, um diesen Uebelständen im beiderseitigen Interesse entgegen zu arbeiten, folgende Regel aufzustellen:

1) Es soll die Arbeit in Zukunft außer an den Sonntagen nur an den gesetzlichen Feiertagen ruhen, nämlich am: Neujahrstag, Charfreitag, Ostermontag, Bettag, Christihimmelfahrtstag, Allerheiligentag, Pfingstmontag, Weihnachtsfest.
2) An allen anderen Tagen, an denen bisher nicht gearbeitet worden, n A. am: h. Dreikönigstag, FastnachtSmontag, Lichtmeßtag, Mariaverkündigungstag, Maikirmesmontag, Frohnleichnamstag, Peter- und Paulstag, Mariaempfängnißtag, Herbstkirmesmontag, soll in Zukunft gearbeitet werden.
3) Um den katholischen Arbeitern die Anhörung der Messe an den unter 2 gerannten Feiertagen zu erleichtern, hat sich die Firma an die Ortsgeistlichkeit gewandt. Insoweit es zeitweilig nicht möglich sein möchte, daß früh genug Messe gelesen wird, soll denjenigen Arbeitern, welche am Morgen des vorhergehenden Tages darum bitten, Urlaub zur Anhörung der 6-Uhrmesse gegeben werden. Fortbleiben ohne Urlaub wird indeß, wie in jedem anderen Falle, zur Aufrechterhaltung eines geordneten Betriebes nach Maßgabe des Arbeiterreglements bestraft werden.

Gußstahlfabrik, den 3. Januar 1876. Friedrich Krupp.'

In der Ausgabe vom 14.01.1876, Nr. 11 wird auf Seite S. 12 das Warenzeichen für Krupp präsentiert:

Über den Ursprung und die Entwicklung der deutschen Eisenindustrie wird in der Ausgabe vom 17.02.1876, Nr. 42, S. 4 berichtet:

1770 erfand Huntsmann in Sheffield eine reue Art der Bereitung in Tiegeln aus Graphit oder Steinkohle. Durch Cort kam 1810 der Stahl nach Deutschland, wo dessen Bereitung ruerst Krupp unternahm. 1847 wurde in Westfalen der erste Puddelstahl gewonnen. 1852 folgte die Erfindung der Regeneratoren durch Siemens, die es ermöglichen, die zum Stahlschmelzen nöthige Hitz: gleichmäßig zu erhalten. Dieser Erfindung folgten eine Reihe von Gußstahlprozessen, als deren bester deren Martin 1858 erfundene genannt zu werden verdient. In dieselbe Zeit fällt nun eine Erfindung von weittragendster Bedeutung, Besserners Erfindung, aus flüssigem Roheisen 'durch Durchblasen von atmosphärischer Luft Stahl zu bereiten. Welchen Einfluß diese Erfindung auf die Produktionsfähigkeit ausgeübt hat, dafür einige Zahlen: in 20 Minuten sann man im Frischfeuer 7, im Paddelofen 47 und im Bessemerprozeß 5000 Kilogramm Stahl herstellen. Vervollkommnet wurde letzterer 1856 durch Mushet.
Die deutsche Eisenindustrie bat sich in den letzten 25 Jahr verdreizehnfacht, die Nordamerikanische verelffacht, die englische endlich nur verzehnfacht. — Zum Schluß zeigte Prof. Dr. Palzow der Versammlung eine sogenannte Lichtmühle. — Endlich erläuterte derselbe mit kurzen Worten zwei von Bierort und Glan erfundene Apparate zur spektroskopischen Untersuchung von Flüssigkeiten.

Die Meldung von einem verschwundenen Arbeiter in der Ausgabe vom 19.02.1876, Nr. 44, auf S. 9, beleuchtet schlaglichtartig eines der zahlreichen Einzel- und Familienschicksale rund die Stahlfabrik in Essen:

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Der 2. Teil des Blogartikels kann hier abgerufen werden.

Verfasst von:

Mag. Christian Benesch

Betreuung des Compass-Archivs und von ZEDHIA im Compass-Verlag

Diplomstudium Geschichte an der Universität Wien