Die "Erste österreichische Linoleumfabrik" in Triest

 (Prima Fabbrica Austriaca di Linoleum)

"Der Tresor" als Quelle und neuer ZEDHIA-Bestand ab Herbst 2016

Viele Informationen über das Triester Unternehmen stammen aus der wirtschaftlichen Zeitschrift Der Tresor. Zeitschrift für Volkswirtschaft und Finanzwesen (1872-1919), die, wie der Compass, von Gustav Leonhardt gegründet wurde und über die meiste Zeit seines Bestehens einmal die Woche erschien. Von seiner Gründung als Supplement zum Compass bis etwa 1902 hatte der Tresor eine gemeinsame Adresse mit der Administration und Redaktion des Compass-Jahrbuchs. In diesen ersten Jahren warb der Tresor in Inseraten explizit mit der gemeinsamen Redaktion. Der Compass war bereits 1872 ein gut etabliertes, weithin bekanntes und anerkanntes Qualitätsmedium für die Wirtschaftswelt der österreichisch-ungarischen Monarchie - und darüber hinaus.

 

Alle verfügbaren Ausgaben des Tresors werden noch im Herbst 2016 Volltext erschlossen im Portal veröffentlicht werden und erweitern damit den ZEDHIA-Bestand um diese wirtschaftshistorisch hochinteressante Quelle.

Linoleum als deutscher Wachstumsmarkt und der schwierige Beginn in Österreich

Als sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine stetig wachsende und wirtschaftlich erfolgreiche Linoleumproduktion in Deutschland etablieren konnte, kam in Österreich der Gedanke an eine eigene Produktion für den heimischen und auch internationalen Markt auf. Das Projekt wurde schließlich unter Führung der Oesterreichischen Credit-Anstalt in Form der Ersten österreichischen Linoleumfabrik realisiert.

Oesterreichische Creditanstalt. (Gen.-Vers, am 3. d. M.) Dem Ge­schäftsberichte pro 1894 ist zu entnehmen: (…) Ferner wird eine Linoleumfabrik in Triest errichtet, der Betrieb der Fabrik dürfte noch vor Schluss 1895 beginnen. (Der Tresor, Nr. 1196, 11.04.1895, S. 116)

Der Compass von 1896 vermeldet auf Seite 749 über die Gründung der Aktiengesellschaft:
 
Erste österreichische Linoleumfabrik. [Constituirende Gen.-Vers. am 28. Mai 1895.] Actien-Capital: fl. 700.000 in 3500 Actien à fl. 200, erhöhbar bis auf fl. 2,000.000.
 
Im Jahr 1897 produziert die Gesellschaft eine Broschüre über Linoleum, in welcher nicht nur die Vorzüge des Materials, sondern auch Tipps für dessen Reinigung und praktische Verlegung bzw. Verwendung veröffentlicht werden. Immer wieder werden die geringen Kosten betont und über die Verwendung von Linoleum im Haushalt heißt es auf Seite 3
 
Es ersetzt den Teppich, indem es den Schritt geräuschlos macht, ohne wie dieser Staubfänger und somit ein Ablagerungsplatz für jene kleinen unsichtbaren Feinde der Gesundheit, die Mikroorganismen, zu sein, welche den Gebrauch schwerer Teppiche oft sogar sehr gefährlich machen.
 
Auf Seite 4 wird der Vorteil der heimischen Produktion, die an Qualität ihrer Erzeugnisse der ausländischen in nichts nachstehen soll, im günstigeren Preis gesucht und damit auch die Aussicht auf zukünftige, höhere Verkaufszahlen begründet:
 
Nachdem inländisches Linoleum durch den Wegfall des Einfuhrzolles auch billiger zu stehen kommt als das bisher zum Verkaufe gebrachte ausländische Fabrikat, wird es nun in alle Schichten der Bevölkerung Eingang finden.

Nach weiteren Schilderungen von Vorzügen endet dieser Teil der Broschüre mit dem Aufruf: „Es soll kein Haus, keine Wohnung ohne Linoleum sein!“

Aus dem Bericht der Oesterreichische Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe in Wien für das Geschäftsjahr 1896 ergibt sich, dass die Produktion bereits angelaufen war:

Die Erste österr. Linoleumfabrik in Triest, die im J. 1896 zu arbeiten begonnen hat, lieferte sofort tadellose Fabrikate, doch konnte dem Betriebe nur allmälig die gewünschte Ausdehnung gegeben werden. Der nunmehr regelmässige Gang der Fabrikation lässt für die Zukunft günstige Ergebnisse hoffen. (Compass 1898, S. 91)

Im Eintrag zur Gesellschaft aus der gleichen Ausgabe des Compass von 1898 ist ein Verlust zu verzeichnen:

332. Triest. Erste österreichische Linoleumfabrik. [28. Mai 1895.] Actien-Capital: íl. 700.000 in 3500 Actien à 11. 200, erhöhbar bis auf fl. 2,000.000. — Die erste Bilanz pro 22 Monate schloss mit einem Verluste von fl. 43.393. (Compass 1898, S. 811)

Wenig positiv äußerte sich die Credit-Anstalt über die Geschäftsentwicklung des Jahres 1898:

Die Bilanz der Ersten österr. Linoleumfabrik in Triest war auch im J. 1898 nicht befriedigend, da der Absatz nur langsam steigt. (Compass 1900, S. 95).

Der Compass 1901/1902 berichtet auf S. 909 über die Kapitalerhöhung, vermehrte und vorzügliche Produktionsergebnisse und das nichtsdestotrotz weiter vorhandene Minus am Ende des Jahres:

463. Erste österreichische Linoleumfabrik. Triest. [Coust. 28./5.1895.] Actien-Capital: K 2.100.000 in 5250 Actien à fl. 200, erhöhbar bis auf K 4,000.000. (Urspr. fl. 700.000. Die G.-V. v. 4./6. 1898 beschloss Erhöhung auf K 2,100.000). Die Gesellschaft wurde von der Oesterr. Credit-Anstalt im Vereine mit einer Firma der Linoleum-Branche in Deutschland zu dem Zwecke gegründet, die Linoleumfabrication in Oesterreich einzuführen. Sie errichtete eine grosse Fabrik, welche 1899 in Betrieb kam, auf eine Production von 1,600.000 m2 eingerichtet ist und vorzügliche Fabricate liefert. Das Aerale umfasst 27.000 m2. Das Resultat des Jahres 1900 ist ein nicht befriedigendes.

Fortwährend wurde in die Modernisierung, verbesserte Produktionsverfahren und eine breitere Produktpalette investiert:

Die Fabrik ist vorläufig für eine jährliche Production von 1,600.000 m2 eingerichtet und beschäftigt 120 Arbeiter. Seit Mitte 1904 sind wesentliche Neubauten für die Fabrikation nach dem bewährten Walton-System hinzugekommen. Außerdem ist die Fabrikation von Lincrusta aufgenommen. — Beide Neuanlagen liefern bereits Ware auf den Markt, welche guten Anklang findet. Die Fabrik ist seit Anfang 1905 voll beschäftigt. (Compass. Finanzielles Jahrbuch für Österreich-Ungarn 1906. II. Band. Hrsg. von Rudolf Hanel. 39. Jg. Wien: Alfred Hölder 1905. S. 452)

Lincrusta ist ein Wandbelag auf Linoleum-Basis, der mit den verschiedensten Formen und Farben verziert werden kann und als Tapete relativ langlebig ist. Hier ein Beispiel aus einer Jugendstil-Apotheke (Stitzenburg-Apotheke) in Stuttgart mit einem floralen Dekor - Original von 1901 (Quelle):

Lincrusta-Tapete

Lincrusta-Tapete in einer Jugendstil-Apotheke (Herstellung 1901, Detailansicht). By 8mobili (Self-photographed) [CC BY-SA 2.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons

Die ersten Jahre, ja Jahrzehnte, sind von einer schwierigen Aufbauarbeit und in den meisten Jahren auch von finanziellen Verlusten für die Gesellschaft geprägt:

Triester Linoleumfabrik. Die Bilanz dieser Gesellschaft schließt neuerdings mit einem Verluste von K 175.400, so daß der bisherige Gesamtverlust K 822.000 beträgt. (Der Tresor, Nr. 1769, 13.07.1906, S. 157)

Im Compass vom 1907. III. Band, findet sich auf Seite 1254/I ein Inserat der Triester Linoleumfabrik, in welcher u.a. für die Schutzmarke "Kronen-Linoleum" und Lincrusta aus eigener Produktion geworben wird:

Kurze Periode des Aufschwungs vor und das Ende während des Ersten Weltkriegs

Trotz aller Schwierigkeiten in den ersten Jahrzehnten lässt sich ab etwa 1908 ein deutlicher Aufwärtstrend feststellen: 

Die fortschreitende Erhöhung des Absatzes sowie die Verbesserungen im Betriebe lassen die Hoff­nung zu, daß die Erste österreichische Linoleumfabrik allmählich auf eine gesunde Basis gebracht werden wird. (Der Tresor, Nr. 1859, 11.04.1908, S. 142)

Einzelne ältere industrielle Syndikate zeigen eine Besserung. Hierher gehört namentlich die Triester Linoleumfabrik, die zum erstenmal seit zwanzig Jahren ein kleines Erträgnis abgeworfen hat, … (Der Tresor, Nr. 2009, 25.02.1911, S. 71)

Erste österreichische Linoleumfabrik in Triest hat mit der Deutschen Linoleumcompagnie in Rixdorf und Eberswalde einen Vertrag betreff technischer Interestengemeinschaft [sic] abgeschlossen. (Der Tresor, Nr. 2111, 06.02.1913, S. 48)

Es folgten nach der langen Aufbauphase einige gute Jahre, so etwa 1912 (Der Tresor 27.02.1913, Nr. 2117, S. 97) und 1913 (Der Tresor, Nr. 2206, 10.03.1914, S. 58), deren Erträgnisse jeweils die Zahlung einer ansehnlichen Dividende gestatteten.

Mit Kriegsbeginn verschlechterte sich die Lage der Gesellschaft jedoch wieder, da sowohl Absatzmärkte, als auch Zulieferer verloren gingen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass im Compass als Zielländer für den Export England, Amerika und der Balkan angegeben wurden. Z.B. im Compass von 1915, IV. Band, Seite 1173.

Aus dem Compass, II. Band von 1916 (S. 605) ist zu erfahren, dass die deutschen Linoleum-Produzenten eine Vereinbarung mit der Triester Unternehmung getroffen hatten:

Ende 1914 hat die Gesellschaft mit den deutschen Fabriken eine Vereinbarung geschlossen, derzufolge die Gesellschaft den direkten, wie den indirekten Verkauf nach Deutschland einstellt, während die deutschen Gesellschaften weder einfarbiges nach bedrucktes Linoleum mehr nach der Monarchie liefern. Die Gesellschaft hat sich gleichzeitig den bestehenden Auslandskonventionen angeschlossen.

Aus der Bilanz pro 1914: Investitionen 3,367.267, Vorräte 2,187.213, Kassa u. Effekten 219.018, Debitoren 1,685.095, Kreditoren 5,060.249, Reservefonds 25.000; Verlust (abzüglich K 64.150, Gewinn-Vortrag aus 1913) 160.087.

Im Jahr 1915 erfolgte eine Erhöhung der Linoleumpreise:

Von der Linoleumfabrik in Triest geht uns folgende Depesche zu: Die Nachricht von einer Ermäßigung der Linoleumpreise ist unrichtig. Im Gegenteil, die Preise sind erhöht worden. Die „Frkf. Ztg.“ meldet darüber: Die Vereinbarungen der deutschen Linoleumfabriken mit der Triester Fabrik hatten eine Preissteigerung für Deutschland und Oesterreich-Ungarn zur Folge. (Der Tresor, Nr. 2273, 08.02.1915, S. 560)

Im Jahr 1916 versetzten die kriegswirtschaftlichen Verhältnisse dem Unternehmen schließlich den Todesstoß:

…haben die kriegerischen Ereignisse auf die Produktions- und Absatzverhältnisse ungünstig eingewirkt. Das Gleiche ist von der Ersten österreichischen Linoleumfabrik zu melden. (Der Tresor, Nr. 2329, 07.04.1916, S. 124)

und noch im gleichen Jahr wird die Abwicklung des Betriebs verkündet:

(…) Die Erste Oesterreichische Linoleum-Fabrik ist mit dem Abverkauf ihrer Vorräte beschäftigt. (Der Tresor, Nr. 2352, 29.09.1916, S. 304)

Auch die vor dem Krieg blühende deutsche Linoleum-Industrie litt unter dem Mangel an importierten Rohstoffen für die Produktion und sollte sich erst in den 1920er Jahren langsam von den Folgen des Ersten Weltkriegs erholen. (Vgl. zur Geschichte der deutschen Linoleum-Industrie)

Angesichts dieses äußerst ungünstigen Rahmenbedingungen konnte sich die gerade erst konsolidierende Triester Produktion nicht länger behaupten.  

Im Compass, Band I des Jahres 1918 wird rückblickend zur Entwicklung der Gesellschaft auf Seite 1013 notiert:

Seit Mitte 1904 sind wesentliche Neubauten für die Fabrikation nach dem Walton-System hinzugekommen 1905 wurde die Erzeugung von Taylorware, 1910 die Erzeugung von Linkrusta gänzlich eingestellt. — Die im Jahre 1906 begonnenen Arbeiten an der Neuanlage und Errichtung einer Inlaid-Abteilung, sind im Herbste 1907 beendet worden und wurde um diese Zeit der Betrieb der namhaft vergrößerten Werksanlagen aufgenommen.

1909 wurden die Investitionen und die technische Reorganisation durchgeführt. Jänner 1909 brach im Maschinenhaus und in zwei Oxydationshäusern ein großer Brand aus; der Schaden war durch Versicherung gedeckt, der Betrieb konnte bald darauf wieder aufgenommen w erden, die finanzielle Reorganisation hat jedoch dadurch eine Verzögerung erlitten. Im Zusammenhang mit der Kapitalstransaktion (s. o.) wurde 1910 eine durchgreifende Neugestaltung des Betriebes unter Heranziehung erstklassiger Techniker der Linoleumbranche durchgeführt. 1912 hat sich die Gesellschaft die technische Kooperation der Deutschen Linoleum Cie. (Neu-Kölln und Eberswalde) gesichert.

(...)

Hinzugefügt wird:

Aus der Bilanz pro 1915: Die Fabrik hat für das Jahr 1916 einen Verlust von K 158.845 vorgetragen.

Im Laufe des Jahres 1916 wurde der Fabrikationsbetrieb eingestellt.

So erfolgte der Abgang dieser einst so hochgepriesenen Ersten Österreichischen Linoleumfabrik während des Krieges still und beinahe unbemerkt von den Medien.

Erst mit der Errichtung einer Fabrik in Brunn am Gebirge in den 1920ern durch die Österreichische Linoleum-, Wachstuch- u. Kunstlederfabriken-Aktiengesellschaft (vgl. Compass 1932, S. 885), gab es wieder eine eigenständige österreichische Linoleumproduktion.

Verfasst von:

Mag. Christian Benesch

Betreuung des Compass-Archivs und von ZEDHIA im Compass-Verlag

Diplomstudium Geschichte an der Universität Wien