Erster Wiener Frauen-Erwerb-Verein im Compass 1868

Der „Wiener Frauen-Erwerb-Verein“ machte schon im ersten Compass-Band von 1868 auf sich aufmerksam, indem er die weibliche Bevölkerung der Stadt weiterbilden und wirtschaftlich fördern wollte. So heißt es im „populären Vortrag von Dr. J. F. Schrank“ über „Das Genossenschaftswesen in Wien“, der in der Erstausgabe abgedruckt wurde:

Ein anderer Verein hat sich gleichfalls in kürzester Zeit die Sympathie der Bevölkerung errungen. Es ist dieß der auf Anregung und unter Mithilfe des Vereines für volkswirthschaftlichen Fortschritt gegründete „Wiener Frauen-Erwerb-verein.“ Derselbe, erst im Spätherbste 1866 eröffnet, zählte doch schon Anfangs 1867 weit über tausend Mitglieder. Er errichtete eine Nähstube, vermittelte den Handelsunterricht an Mädchen und begründete jüngst einen Bazar zum Verkaufe von Frauenhandarbeiten. Dieser Verein dürfte bei gehöriger Leitung und aufrichtiger Berathung einer bedeutenden Zukunft in Wien entgegengehen, besonders wenn er den höheren Frauenunterricht durch Gründung einer Wiener Frauenakademie befördern wollte.

 

Quelle: Compass. Kalender und Jahrbuch für Handel, Gewerbe und Industrie in Österreich 1868. Hrsg. von Gustav Leonhardt. [1. Jg.] Wien: Carl Fromme [s.a.]., S. 248

 

 

Über die ersten größeren Erfolge des Vereins kann man sich einige Seiten davor im Detail informieren:

 

Erster Wiener Frauen-Erwerb Verein

(Kärntnerring Nr. 6)

(...) Im October d. J. 1866 traten in Wien einige hochgebildete Frauen zur Berathung über die Gründung eines Vereines zusammen, dessen Aufgabe es wäre, die moralische und wirtschaftliche Hebung des weiblichen Geschlechtes in jeder Weise zu fördern. (...) Im Jänner 1867 eröffnete der Verein eine öffentliche Nähstube, in der er Unterricht im Maschinennähen gab, Maschinen an Arbeiterinnen vermiethete und Arbeiten übernahm. An 120 Schülerinnen aus allen Ständen hat diese Anstalt bereits herausgebildet  und vollständig ausgerüstet mit der Kenntniß der Behandlung der Näßmaschinen entlassen. Zahlreichen Nähterinnen hat er hier Arbeit verschafft und Verwendung in Privathäusern. Bald darnach vereinigte der Verein mit der Nähstube einen Bazar für weibliche Handarbeiten.

Erfreuliche Erfolge wurden in der Handelsschule erzielt, die der Verein vorläufig im Verein mit einer tüchtigen Lehrmeisterin, Frau Kühnel, gründete und leitete. Durch dieselbe war es dem Verein möglich, schon im ersten Jahre seines Bestandes 32 Mädchen im Handelsfache ausbilden zu lassen.

(...) Der Verein zählt heute 1600 Mitglieder, die zu einem Jahresbeitrage von 1 Gulden verpflichtet sind. Die außerordentlichen Beiträge waren aber so reich, daß nach allen Unternehmungen der Verein heute noch über ein Vermögen in Baarem von 5000 Gulden verfügt.

 

Quelle: Compass. Kalender und Jahrbuch für Handel, Gewerbe und Industrie in Österreich 1868. Hrsg. von Gustav Leonhardt. [1. Jg.] Wien: Carl Fromme [s.a.]., S. 186

Aus dem Eintrag zum Frauen-Erwerb-Verein auf der Seite des Projekts Frauen in Bewegung:

"Die erste Schulgründung war eine Handelsschule. Sie gesellte sich schon 1868 zu der unentgeltlichen Nähstube, die 1909 zur Frauengewerbeschule für Weißnähen und Kleidermachen wurde. Bald folgte die Höhere Bildungsschule, aus der sich später das Mädchenlyzeum, dann die Frauen-Oberschule und das Reform-Realgymnasium entwickelt haben." "Auch der körperlichen Erziehung der weiblichen Jugend schenkte der Verein schon zu einer Zeit seine Aufmerksamkeit, als das Schulturnen für Mädchen noch recht im Argen lag. So richtete er schon 1910 seinen großen Turnsaal im neuen Schulhause am Wiedner Gürtel nach schwedischem Muster ein, was der Entwicklung des modernen Frauenturnens an den Vereinsschulen sehr zu statten kam."
(aus: 60 Jahre Wiener Frauen-Erwerb-Verein. Wien, 1926)

Link zum Eintrag auf Frauen in Bewegung

Verfasst von:

Mag. Christian Benesch

Betreuung des Compass-Archivs und von ZEDHIA im Compass-Verlag

Diplomstudium Geschichte an der Universität Wien